Zur Zuverlässigkeit unseres Rechtssystems gehört auch die Fristenregelung, die an die Rechtsanwälte hohe Anforderungen stellt. Diese einzuhalten, gehört daher zu ihren obersten Pflichten, die sie auch nicht an Mitarbeiter delegieren und im Ernstfall mit Fehlern ihrerseits rechtfertigen können. Auch wenn sich der Anwalt in diesem Fall erhoffte, seine Angelegenheit wieder "in den vorherigen Stand" einsetzen lassen zu können, erteilte ihm der Bundesgerichtshof (BGH) mit dieser Argumentationsführung eine eindeutige Abfuhr.

Das Familiengericht hatte eine Frau zur Zahlung eines Zugewinnausgleichs an ihren Exmann verurteilt. Das Urteil wurde dem Rechtsanwalt am 25.08.2021 zugestellt. Dieser legte innerhalb der vorgeschriebenen Frist Beschwerde ein. Dann vergaß er jedoch, die Beschwerde auch fristgemäß zu begründen. Nachdem das Oberlandesgericht ihn darauf hingewiesen hatte, beantragte er eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand. Als Begründung teilte er mit, dass die sonst stets sehr zuverlässige Kanzleiangestellte vergessen habe, die Frist zur Beschwerdebegründung im Fristenkalender zu notieren. Schließlich holte er die Begründung im November 2021 nach. Das war allerdings verspätet.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wurde auch vom BGH zurückgewiesen. Überträgt ein Rechtsanwalt die Notierung von Fristen einer Bürokraft, muss er durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherstellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Hierzu gehört insbesondere, dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in den Fristenkalender eingetragen worden sind. Werden einem Rechtsanwalt die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung vorgelegt, hat er den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen eigenverantwortlich zu prüfen. Das war hier allerdings nicht geschehen.

Hinweis: Wird tatsächlich einmal eine Frist versäumt, ist der Rechtsanwalt haftpflichtversichert. Mandanten bleiben also nicht auf dem Schaden sitzen.


Quelle: BGH, Urt. v. 29.06.2022 - XII ZB 9/22
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 11/2022)