Selbstbestimmungsrecht durch Patientenverfügung: Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen Zwangsbehandlungen im Maßregelvollzug
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Der folgende Fall ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie stark trotz pandemiebedingter Unkenrufe auf die Verfassungsrechte des Einzelnen hierzulande abgestellt wird. Ferner zeigt der Fall, bei dem es um eine medizinische Zwangsbehandlung als erheblichen Eingriff in die persönlichen Rechte ging, dass es sich lohnt, nicht gleich nach der ersten Instanz aufzugeben. Denn hier hatte erst das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nach dem Oberlandesgericht (OLG) und dem Landgericht (LG) das entscheidende letzte Wort.
Ein Mann war nach einer gerichtlichen Anordnung dauerhaft in einem Bezirkskrankenhaus im Maßregelvollzug untergebracht. Er hatte in einem Formular erklärt, eine "Patientenverfügung" getroffen zu haben, die insbesondere Anordnungen zu lebensverlängernden Maßnahmen sowie Fremdbluttransfusionen betraf und in der er seine Mutter als bevollmächtigte Vertreterin eingesetzt hatte. Zudem hatte er jedem Arzt, Pfleger (und anderen Personen) verboten, ihm Neuroleptika in irgendeiner Form gegen seinen Willen zu verabreichen. Schließlich beantragte das Bezirkskrankenhaus dennoch eine Zwangsbehandlung, da der Mann an einer Schizophrenie vom paranoid-halluzinatorischen Typ leide. Die Behandlung sei notwendig, um ihn vor irreversiblen hirnorganischen Gesundheitsschäden zu bewahren, die bei weiterer Verzögerung des Behandlungsbeginns mit hoher Wahrscheinlichkeit einträten. Das erstinstanzliche LG erteilte die Einwilligung zur täglichen Injektion eines Medikaments, und das OLG wies die dagegen gerichtetete Beschwerde zurück. Doch dann zog der Mann vor das BVerfG - mit Erfolg.
Eine Zwangsbehandlung darf als letztes Mittel nur eingesetzt werden, wenn mildere Mittel nicht (mehr) in Betracht kommen und eine weniger in die Grundrechte des Betroffenen eingreifende Behandlung aussichtslos ist. Weiterhin ist erforderlich, dass der Betroffene krankheitsbedingt nicht einsichtsfähig ist oder sich nicht einsichtsgemäß verhalten kann und dass der Behandlung der ernsthafte, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks unternommene Versuch vorausgegangen ist, seine auf Vertrauen gegründete Zustimmung zu erlangen. Die Freiheitsgrundrechte schließen auch das Recht ein, auf Heilung zielende Eingriffe abzulehnen. Die Gerichte hatten nicht bedacht, dass das Selbstbestimmungsrecht eine Zwangsbehandlung, die allein dem Schutz des Betroffenen dient, bei einer entgegenstehenden wirksamen Patientenverfügung von vornherein verbietet.
Hinweis: Eine medizinische Zwangsbehandlung darf also stets nur als letztes Mittel eingesetzt werden. Es darf dabei keine milderen Mittel mehr geben, um ans gleiche Ziel wie durch die Behandlung zu kommen.
Quelle: BVerfG, Urt. v. 08.06.2021 - 2 BvR 1314/18
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(aus: Ausgabe 10/2021)