Auch für die Rechtsprechung ist die Pandemie eine Art Gratwanderung: Wo muss zwingend improvisiert werden? An welcher Stelle haben geltende Regeln unwiderruflich Vorrang? Hier korrekt und vor allem rechtssicher abzuwägen, war auch im Folgenden Aufgabe für das Arbeitsgericht Lingen (ArbG). Diesem half dabei der Widerspruch, den das Festhalten am etablierten Weg automatisch aufgeworfen hätte.

Betriebe, die einen Betriebsrat gründen wollen, müssen dafür zuerst zu einer Wahlversammlung einladen, um dann durch alle wahlberechtigten Arbeitnehmer einen Wahlvorstand zu bestimmen, der die betreffende Wahl einleitet. So wollten auch hier mehrere Arbeitnehmerinnen einen Wahlvorstand zur Durchführung einer Betriebsratswahl bestimmen - und das zu Coronazeiten. Zu der an sich notwendigen Betriebsversammlung luden die Arbeitnehmerinnen aufgrund der pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen daher auch nicht ein. Daher beantragten sie vor dem ArbG, das es zur Durchführung der Betriebsratswahl einen aus drei Personen bestehenden Wahlvorstand bestellen solle.

Das Gericht gab dem Antrag statt und setzte einen Wahlvorstand ein. Es wäre in den Augen der Richter schlicht widersinnig, von den Arbeitnehmerinnen die Einladung zu einer Betriebsversammlung zu verlangen, wenn diese gleichzeitig darauf hinweisen müssten, dass die Betriebsversammlung aber wegen der geltenden Maßnahmen zur Pandemieeindämmung nicht stattfinden dürfe.

Hinweis: Obwohl es das Gesetz anders bestimmt, war in diesem Fall eine Wahlversammlung zur Bestimmung des Wahlvorstands nicht erforderlich. Darauf verlassen sollte sich allerdings keiner der Beteilgten - weder Arbeitnehmer, Betriebsrat noch Arbeitgeber.


Quelle: ArbG Lingen, Beschl. v. 19.03.2021 - 1 BV 1/21
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 06/2021)