Erbeinsetzung oder Vermächtnisanordnung? Einstige Vorstellung des Erblassers über die Zusammensetzung des Nachlasses ist mitentscheidend
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Ob man zum Erben oder Nachlassempfänger wird, ist auch bezüglich der mit dem jeweiligen Status verbundenen Verpflichtungen nicht unerheblich. Im folgenden Fall musste das Oberlandesgericht Rostock (OLG) entscheiden, ob der Wert eines zugewandten einzelnen Gegenstands - hier eine Immobilie - allein schon darüber entscheidet, dass der Empfänger zum Erben wird, wenn der restliche Nachlass nicht an den Gegenstandswert heranreicht.
Der Erblasser hatte im Jahr 1987 mit seiner Ehefrau ein gemeinschaftliches Testament errichtet, in dem sich beide gegenseitig zu Alleinerben einsetzten. Nach dem Tod des Längstlebenden war verfügt worden, dass ein im Eigentum der Eheleute stehendes Hausgrundstück an den Antragsteller im späteren Erbscheinsverfahren übergehen sollte. Das Haus hatte in etwa einen Wert von 200.000 EUR, der restliche Nachlass einen Wert von ca. 61.000 EUR. In der Folge stritten sich der Empfänger der zugewendeten Immobilie sowie die gesetzliche Erbin darum, wer Erbe nach dem Längstlebenden geworden sei.
Das OLG kam - anders als das Nachlassgericht - zu dem Ergebnis, dass der Zuwendungsempfänger des Hauses nicht Erbe nach dem Längstlebenden geworden ist. Hierbei hat das Gericht die Zweifelsregelung angewendet, dass bei der Zuwendung eines einzelnen Gegenstands eben nicht von einer Erbeinsetzung, sondern von einer Vermächtnisanordnung auszugehen ist. Der Umstand, dass es sich um das wesentliche Vermögen des Erblassers handelt, führt nicht zwangsläufig dazu, dass es sich um eine Erbeinsetzung gehandelt hat. Zu prüfen ist immer, wovon der Erblasser zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments in seinen Vorstellungen über die Zusammensetzung seines Nachlasses und den Wert der Gegenstände ausgegangen ist. Hierbei trifft denjenigen, der sich auf die Erbenstellung beruft, die Beweislast dafür, dass der zugewandte Gegenstand praktisch das gesamte Vermögen des Erblassers ausgemacht hat. Sofern dieser Nachweis geführt werden kann, ist dies ein starkes - wenngleich nicht zwingendes - Indiz dafür, dass der Erblasser dem Bedachten Rechte einräumen wollte, die nur einem Erben zugutekommen können. Diesen Nachweis, dass bei Testamentserrichtung kein wesentliches anderes Vermögen der Eheleute vorhanden gewesen war, konnte der Antragsteller hier aber nicht erbringen.
Hinweis: Ein Indiz, das beispielsweise die Stellung als Erbe entkräften kann, ist, wenn sich aus der Verfügung ergibt, dass der Bedachte nicht für Nachlassverbindlichkeiten, für Beerdigungskosten oder die Grabpflege aufkommen muss. Dies sind typische Verpflichtungen, die einen Erben treffen.
Quelle: OLG Rostock, Beschl. v. 08.02.2022 - 3 W 143/20
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 05/2022)