Ergebnisunabhängige Prozesskostenverteilung: Warum in Kindschaftssachen meist die Regel der hälftigen Kostenteilung gilt
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Üblicherweise muss vor Gericht derjenige alle Kosten tragen, der verloren hat. So hielt es auch ein Familiengericht (FamG): Vater und Mutter waren darüber uneins gewesen, ob ihr Kind gegen Corona geimpft werden darf. Die Mutter erhielt als Impfbefürworterin die Alleinentscheidungsbefugnis für diese Entscheidung, der Vater sollte das Verfahren komplett allein bezahlen. Diese Kostenentscheidung hob das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG) nun allerdings auf und ordnete an, dass beide Eltern die Hälfte zu zahlen haben.
Nach dem FamG werden die Kosten nämlich "nach billigem Ermessen" verteilt - nicht nach dem "Verliererprinzip". Der Grund dafür liegt darin, dass man bei Sorgerecht und Umgangsrecht nicht dieselben Maßstäbe wie beim Prozessieren um Geld anlegen möchte. Denn in Kindschaftssachen haben die Eltern bei der gerichtlichen Durchsetzung ihres Begehrens jedenfalls auch das Kindeswohl im Auge. Derartige Verfahren sind regelmäßig dadurch gekennzeichnet, dass die Beteiligten subjektiv sehr unterschiedliche Sichtweisen haben, die zu der gerichtlichen Auseinandersetzung führen. Die eindeutige Verantwortlichkeit nur eines Elternteils dafür, dass es zu dem Verfahren und damit zu Kosten gekommen ist, lässt sich dabei meist nicht feststellen. Ein Kostenerstattungsanspruch gegen den anderen Elternteil soll daher die Ausnahme sein.
Weiter führte das OLG aus, dass widerstreitende Meinungen der - jeweils auf ihre Weise das Wohl der Kinder im Blick habenden - Kindeseltern zur Frage der Corona-Impfung ihres Kindes nicht dazu führen können, einen Elternteil mehr als den anderen mit den dadurch entstehenden Gerichtskosten zu belasten oder gar einem Elternteil auch die Kosten des anderen aufzuerlegen. Es mag nach den gegenwärtigen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft mehr für als gegen eine Impfung von Kindern sprechen, die das zwölfte Lebensjahr vollendet haben. Dennoch muss es - jedenfalls wenn wie hier keine zwingende medizinische Indikation zur Impfung der Kinder besteht - einem Elternteil möglich sein, eine andere Position zur Impffrage einzunehmen, als sie der andere Elternteil vertritt. Und dieser sollte folglich nicht befürchten müssen, deshalb im Fall des Unterliegens stärker als der andere für die dadurch entstandenen Kosten herangezogen zu werden.
Hinweis: Die hälftige Kostenteilung fällt besonders ins Gewicht, wenn ein mehrere tausend Euro teures Gutachten eingeholt wurde, was in Sorge- und Umgangssachen häufig der Fall ist. Eine andere Betrachtung ist nur geboten, wenn einer durch grobes Verschulden Anlass für das Verfahren gegeben hat oder seine Zielstellung im Verfahren erkennbar von vornherein keine Aussicht auf Erfolg hat.
Quelle: Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 22.08.2022 - 9 WF 80/22
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 10/2022)