Unbeachtlicher Motivirrtum: Ausschlagung einer Erbschaft kann unvorhergesehene Miterben begünstigen
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Wird keine letzwillige Verfügung verfasst, greift mit dem Tod die gesetzliche Erbfolge. Diese scheint auf den ersten Blick einfach, auf den zweiten oder gar dritten Blick beweist sich, warum das Erbrecht ein eigenes Rechtsgebiet ist. Im folgenden Fall, den das Oberlandesgericht (OLG) Hamm zu entscheiden hatte, lag in der Ausschlagung einer Erbschaft zugunsten der Witwe ein guter Wille zugrunde. Mit den Auswirkungen haben die (einstigen) Erben allerdings nicht gerechnet.
Da der im Jahr 2018 verstorbene Erblasser keine letztwillige Verfügung hinterlassen hatte, wurden die überlebende Ehefrau sowie die Kinder des Erblassers zu seinen gesetzlichen Erben. Alle Abkömmlinge des Erblassers hatten durch notariell beglaubigte Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht die Ausschlagung der Erbschaft erklärt. Hintergrund dieser Erbschaftsausschlagung war ihr Wunsch, die Witwe zur Alleinerbin und damit auch zur Alleineigentümerin einer Eigentumswohnung werden zu lassen. Nachdem die Witwe einen Alleinerbschein beantragt hatte, wies das Nachlassgericht jedoch darauf hin, dass diesem nur stattgegeben werden könne, wenn in dem Erbscheinsantrag auch Angaben zu Kindern der Abkömmlinge, den Eltern und eventuellen Geschwistern und Großeltern des Erblassers gemacht werden. Daraufhin erklärten die Kinder durch notariell beglaubigte Erklärung die Anfechtung der Ausschlagungserklärung, da sie irrtümlich davon ausgegangen seien, dass durch die Ausschlagungserklärung die Mutter zur Alleinerbin geworden sei. Durch den Hinweis des Nachlassgerichts sei ihnen klar geworden, dass in diesem Fall auch die Halbgeschwister des Erblassers Miterben geworden seien.
Doch den nunmehr geänderten Antrag der Witwe auf Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins mit den Kindern wies auch das OLG Hamm in der Beschwerdeinstanz zurück, da die Erbschaftsausschlagung wirksam sei. Es habe sich in diesem Fall um einen unbeachtlichen Motivirrtum gehandelt. Ein Irrtum über einen nicht erkannten Eintritt zusätzlicher oder mittelbarer Rechtswirkungen, die zu den durchaus gewollten oder eingetretenen Rechtsfolgen hinzutreten, berechtige nicht zur Anfechtung der Ausschlagungserklärung.
Hinweis: Das OLG Hamm hat die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof zugelassen. Die Entscheidung steht im Widerspruch zu anderslautenden Entscheidungen des OLG Frankfurt und des OLG Düsseldorf, die in einem solchen Fall von einem beachtlichen Rechtsirrtum ausgehen.
Quelle: OLG Hamm, Beschl. v. 21.04.2022 - 15 W 51/19
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 09/2022)