In jedem Berufsleben gibt es Tätigkeiten, die einem in Fleisch und Blut übergegangen sind - einfach deshalb, weil sie routinemäßig zum Tagesgeschäft gehören. Dass es Berufkraftfahrern jedoch stets angeraten ist, selbst die augenscheinlich profansten Abläufe konzentriert auszuüben, zeigt der Fall des Oberlandesgerichts Celle (OLG).

Zu dem Verkehrsunfall kam es, als ein Linienbus von einer Haltestelle nach links in den fließenden Verkehr einfahren wollte und folglich mit einem Pkw zusammenstieß. Dessen Fahrer erhob gegen das Busunternehmen schließlich Schadensersatzklage, und es entstand ein Streit darüber, ob der Busfahrer das Einfahren in den fließenden Verkehr rechtzeitig durch den Blinker angezeigt hatte oder nicht.

Das OLG entschied zum Teil zugunsten des Klägers. Es spreche ein Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Linienbusfahrer den Unfall - überwiegend - verschuldet hat. Denn dieser hat nicht nachweisen können, dass er seine Absicht, nach links in den fließenden Verkehr einzubiegen, durch den Fahrtrichtungsanzeiger angekündigt hatte. Damit habe nicht bewiesen werden können, dass dem Busfahrer ein Vorrecht zugestanden hat. Der Vorrang des Linienbusses besteht in der Tat erst dann, wenn der Fahrer des Busses sein Vorhaben ordnungsgemäß und rechtzeitig angezeigt hat. Eine Mithaftung des Klägers nahm das Gericht in Höhe von 25 % aus der Betriebsgefahr an.

Hinweis: Gemäß § 10 Satz 1 Straßenverkehrsordnung (StVO) muss sich der Einfahrende vom Fahrbahnrand auf eine Fahrbahn so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Der Vorrang des fließenden Verkehrs gilt grundsätzlich auch gegenüber dem Fahrer eines Omnibusses des Linienverkehrs. Um derartigen Fahrzeugen, die an feste Fahrpläne und an die Einhaltung bestimmter Fahrzeiten gebunden sind, aber das Anfahren und Einordnen in den fließenden Verkehr zur Sicherstellung der zeitlichen Vorgaben zu erleichtern, bestimmt § 20 Abs. 5 StVO, dass diesen das Abfahren von gekennzeichneten Haltestellen zu ermöglichen ist und andere Fahrzeuge, wenn nötig, warten müssen. Diese Einschränkung des Vorrangs des fließenden Verkehrs gilt aber erst dann, wenn der Fahrer eines Omnibusses des Linienverkehrs sein Vorhaben ordnungsgemäß und rechtzeitig angezeigt hat.


Quelle: OLG Celle, Urt. v. 10.11.2021 - 14 U 96/21
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 05/2022)