Wertermittlungsanspruch des Pflichtteilsberechtigten: Drei differierende Gutachten können laut BGH eine vierte Wertermittlung rechtfertigen
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Pflichtteilberechtigte können den Erben gegenüber einen Anspruch auf Wertermittlung der Nachlassgegenstände haben, um sich über die reine Auskunft des Erben hinaus ein Bild über den Wert des Nachlassgegenstands machen und so das Risiko eines Rechtsstreits über den Pflichtteil beurteilen zu können. Dass dabei viele Köche den Brei zu verderben drohen, ist für den Bundesgerichtshof (BGH) jedoch kein Anlass, es bei berechtigten Zweifeln zu bereits drei bestehenden Gutachten dabei zu belassen.
Nach dem Tod des Erblassers stritten dessen Tochter sowie der testamentarische Alleinerbe um den Wert eines Grundstücks aus dem Nachlass der vorverstorbenen Eigentümerin. Zum Verkehrswert der Immobilie existierten bereits drei verschiedene Gutachten, die zu sehr unterschiedlichen Bewertungen in einer Spanne zwischen 58.000 EUR und 245.000 EUR führten. Nach dem Tod des Erblassers veräußerte der Erbe die Immobilie zum Kaufpreis von 65.000 EUR. Die Pflichtteilsberechtigte war der Ansicht, ihr stehe ein Anspruch auf Wertermittlung zu. Das Berufungsgericht hat diesen Antrag vor dem Hintergrund abgewiesen, dass bereits drei Bewertungen existierten und eine weitere Bewertung allenfalls die Unsicherheit zum Verkaufswert der Immobilie steigern würde.
Dieser Ansicht hat sich der BGH jedoch nicht angeschlossen. Pflichtteilsberechtigte haben ein schutzwürdiges Interesse an einer Wertermittlung, wenn die vom Erben vorgelegten Unterlagen und Auskünfte nicht ausreichen, sich ein Bild über den Wert des Nachlassgegenstands zu machen. Gerade vor dem Hintergrund der sehr stark differierenden Verkehrswerte geht der BGH hier durchaus von einem berechtigten und schutzwürdigen Interesse an der Geltendmachung des Anspruchs aus. Ferner besteht der Anspruch auch dann noch, wenn der Nachlassgegenstand vom Erben nach dem Erbfall bereits veräußert wurde. Anderenfalls würde Pflichtteilsberechtigten der Nachweis verwehrt oder deutlich erschwert, dass der Veräußerungserlös nicht dem tatsächlichen Verkehrswert entspricht.
Hinweis: Es besteht kein Anspruch darauf, dass der Wert der Immobilie durch Vorlage eines Wertgutachtens eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen ermittelt wird. Es kommt nur darauf an, dass die Bewertung durch einen unparteiischen Sachverständigen erfolgt - unabhängig davon, ob er öffentlich bestellt und vereidigt ist oder nicht.
Quelle: BGH, Urt. v. 29.09.2021 - IV ZR 328/20
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 12/2021)